Eine Gegendarstellung zu Werner Tübkes Universitäts-Wandbild "Arbeiter und Intelligenz"? "Nein", muss der der folgenden Generation angehörende Leipziger Maler und Grafiker Reinhard Minkewitz immer wieder betonen, "nein, das habe ich nie vorgehabt. Das Gemälde ,Aufrecht stehen' ist eines, das ich im Kontext der Tübke-Malerei sehen will, aber nicht in Gegnerschaft dazu."
Minkewitz bildet vor der Kulisse von Augusteum und Paulinerkirche Protagonisten des universitären Widerstandes gegen des SED-System ab, zeigt Persönlichkeiten, die wegen ihrer politischen Haltung nicht auf Tübkes Bild, das bei aller künstlerischen Freiheit als Auftragswerk der herrschenden Klasse entstand, zu sehen sind. Bei Minkewitz sind Ernst Bloch und Hans Mayer, die zunächst überzeugt nach Leipzig gekommenen und dann vertriebenen Wissenschaftler, gestenreich abgebildet. Postume Ehre auch für den Studenten Werner Ihmels, der im Gefängnis in Bautzen ums Leben kam.
Minkewitz' Mal-Standpunkt ist konsequent. Was auch über die Intentionen des Bild-Auftraggebers Erich Loest zu sagen ist. Der Schriftsteller leistet sich als Privatier das Kunstwerk, ist froh, es nun vor zahlreichem Publikum im Galeriehotel "Leipziger Hof' vorstellen zu können. Der 80-Jährige steht aufrecht. als er spricht: "Im Mai und Juni 1968 verlor Leipzig seine humanistische Seele. Marxistische Klassenkämpfer zerstörten die vom Bürgertum geschaffene Universität, der Hörsaal 40 barst, in dem Ernst Bloch und Hans Mayer gelehrt hatten; Den
Anfang machte die Sprengung der mittelalterlichen Universitätskirche, ein barbarischer Akt ohnegleichen." Den Zerstörern aller Tradition, die sich selber "Sieger der Geschichte" nannten, werde heute noch bildnerischer Ruhm durch Tübkes Gemälde "Arbeiterklasse und Intelligenz" zuteil.
Loest verliest seine Ein-Blatt-Streitschrift mit innerer Erregung. Die Leute, die ihm gegenübersitzen, spüren, dass da einer spricht, für den Leben immer auch Auseinandersetzung war, ist. Loest lässt nicht nur die sich ihm
bis in die letzte Hirnzelle eingegrabene Vergangenheit Revue passieren, er geißelt auch gegenwärtige Unsäglichkeiten: "Der Tiefpunkt war erreicht, als am Hauptgebäude der Universität, wo die Kirche gestanden, ein Lappen hing, auf dem stand: ,Leipzig ist nicht Dresden, Gott sei Dank'. Das war in den Tagen, als alle Welt an die Elbe blickte, dort wurde die Frauenkirche geweiht."
Den Ideen des Malers Minkewitz kann man folgen, denen des Schriftsteller-Zeitzeugen Loest vom
Prinzip her ebenso. Nur in einem ist wohl doch zu widersprechen: Muss ein eigentlich privates Bild, von dem aber laut Loest größere Formate denkbar und erwünscht sind, in der neuen Universität seinen Platz finden? Im Publikum sitzt Rektor Franz Häuser. Er vernimmt die verkündete "Anregung" mit sichtbaren Missbehagen. Auch möchte er am liebsten etwas sagen, als Theologie-Emeritus Christian Hauffe die Bedeutung des Bildes in den Kontext einer noch heute notwendigen Katharsis, einer "heilenden Reinigung", stellt. Häuser fragt sich: "Hat die Universität in den Jahren seit der Wende ihre DDR-Geschichte nicht aufgearbeitet?�.
Herr Rektor sagt coram publico nichts, was nicht die schlechteste Entscheidung ist, wird doch bei der Bildpräsentation nicht sicht-, aber spürbar mit den Finger auf Universität gezeigt. Was hätte Häuser sagen können? Erstens hat mit der Universität bis dato niemand über so ein Bild gesprochen. Zweitens kann über solch eine Ausstattung nur mit Zustimmung der Landesregierung und mit einem Wettbewerb befunden werden. Drittens gibt es ein Kunst-Konzept, nach dem Tübkes Wandbild im neuen Campus seinen Platz finden wird. Bis 15. Mai ist �Aufrecht stehen � samt entstandener malerischer Skizzen, die jeden für sich vorzüglich anzuschauen sind, im �Leipziger Hof� zu sehen. Danach hängt es bei der Erich Loest daheim. Öffentlich wird es bleiben.
Thomas Mayer