Reinhard Minkewitz
"Lichtung"
Ausstellungsdauer 2.10. - 24.11.2002
!!! verlängert bis 3. Januar 2003 !!!
täglich 10-20 Uhr
Zur Eröffnung am 2.10.2002
- in Anwesenheit
des Künstlers -
sprach Dieter Hoffmann, Ordentliches Mitglied
der Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Mainz. Freundlicherweise erlaubte Herr Hoffmann, seine Rede hier wiederzugeben (s.u.)
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Reinhard Minkewitz, 1997.
Foto: Marion Wenzel |
Die ungleichen Schwestern
1997, Kat.-Nr. 1 |
Pressebericht der Leipziger Volkszeitung (Peter Guth)
Fotos von der Eröffnung
Reinhard Minkewitz - Biographie
1957
1979-1984
1984-1986
1986 und 1989
1987-1989
1995
1996
1990-1996
2000 |
in Magdeburg
geboren
Kindheit und Jugend in Berlin, Abitur
Studium an der Hochschule für Grafik und Buchkunst
in Leipzig, bei Prof. Rolf Kuhrt, Diplom
Förderstipendium der Städtischen Bühnen
Leipzig
Preisträger "100 ausgewählten Grafiken"
Meisterschüler bei Prof. Gerhard Kettner, Dresden
Arbeitsaufenthalt als Gast des Goethe-Instituts Manchester
und der Lancaster Unviersity, "German Artist in Residence"
in Lancaster und Liverpool
5. Sächsisches Druckgrafik-Symposion in Hohenossig
Grafikpreis der Dresdner Bank, "100 sächsische Grafiken",
Chemnitz
Künstlerischer Assistent für figürliche
Zeichnung, Aktzeichnung im Fachbereich Malerei/Grafik
an der Hochschule für Grafik und Buchkunst, Leipzig;
seitdem freischaffend in Leipzig tätig
Dozent, Thüringische Sommerakademie, Böhlen
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Gilgamesh - Enkidu und Shamhat
2002, Öl auf Leinwand
110 x 140 cm |
Arbeiten in öffentlichen Sammlungen
Altenburg
Berlin
Borna
Chemnitz
Dresden
Lancaster
Leipzig
Offenbach
Santa Monica
Scheveningen
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Lindenau-Museum
Altenburg
Kupferstichkabinett Staatliche Museen zu Berlin - Preußischer
Kulturbesitz
Stadtmuseum Borna
Neue Sächsische Galerie
Staatliche Kunstsammlung Dresden
Kupferstich-Kabinett
Sächsische Landesbibliothek
Peter Scott - Galerie,
Sammlung der Lancaster University
Museum der bildenden Künste Leipzig
Grassimuseum Leipzig
Buch- und Schriftmuseum der Deutschen Bücherei Leipzig
Stadtgeschichtliches Museum Leipzig
Kunsthalle der Sparkasse Leipzig
Klingspor-Museum
Getty-Museum
Museum Beelden aan Zee, Skulpturen am Meer
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Mann im Wind
2001, Kohle auf Leinwand
240 x 200 cm |
Einzelausstellungen (Auswahl)
1986
1988
1990
1991
1993
1994
1995
1997
1998
1999
2001 |
Galerie Theaterpassage,
Leipzig (P)
Galerie am Thomaskirchhof (P,K)
Kreissparkasse Recklinghausen (P,F)
Galerie am Sachsenplatz, Leipzig (P,F)
Galerie am Sachsenplatz, Leipzig (P)
Westphalsches Haus, Markkleeberg (P)
Peter Scott Galery, Lancaster
Leipziger Stadtbibliothek (F,K,P)
Kronacher Kunstverein, Galerie am Kloster (K,P)
Fürst Pückler Museum, Park und Schloß
Branitz (K,P)
Deutsches Buch- und Schriftmuseum, Leipzig (K,P)
Galerie am Sachsenplatz, Leipzig (K,P)
Literaturhaus Magdeburg
Regierungspräsidium Leipzig
Göpfersdorfer Pferdestall, Göpfersdorf
Kunstverein Panitzsch
Commerzbank, Leipzig
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Zur Eröffnung am 2.10.2002 sprach
Dieter Hoffmann,
Ordentliches Mitglied der Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Mainz.
Wir danken Herrn Hoffmann, seine Rede hier wiedergeben zu dürfen.
Meine Damen und Herren,
glauben Sie mir, daß ich mir vorkomme, als würde ich Eulen nach Athen tragen, nach Pleiße-Athen, wie man früher so blumenreich wie albern gesagt haben würde: Ich rede in Leipig über einen Leipziger Künstler, den Sie alle kennen. Nun lerne ich selber auch immer wieder etwas Neues hinzu; jede neue Herausforderung des Raumes, des Umfeldes bringt neue Einsichten. Dem Künstler wird es genauso gehen. Wir sehen seine Werke in einem jeweils anderen Licht. Und diese Eindrücke können wir miteinander teilen. Vor einem Jahr hat Peter Guth in Leipzig, in der Commerzbank, eine Minkewitz-Ausstellung begleitet. Ich konnte sie leider nicht sehen, habe aber im Sommer in der fürstlichen Orangerie von Schloß Rheda eine Ausstellung von Minkewitz zu interpretieren versucht: ein Gesamtkunstwerk, das so nicht gleich wiederholbar sein dürfte.
Im Mittelpunkt stand damals das großformatige Tableau "Mann im Wind". Es ist Ihnen auch hier im Eingang begegnet, wie ein Türwächter - nur an ihm führt der Weg vorbei, nach innen und nach oben. Der "Mann im Wind" ist gewiß ein Hauptwerk im OEuvre unserers Künstlers, zumindest eins seiner Lieblingsbilder, denn es war auch schon in der Ausstellung der Commerzbank dabei, und er will es dem Ensemble der anderen nun hier ausgestellten Arbeiten nicht vorenthalten, wiewohl er leicht sagen könnte: Das war schon einmal, das versage ich mir jetzt. Zuerst war ich dem "Mann im Wind" im Atelier begegnet. Für Minkewitz leitete es eine neue stilistische Phase ein, das Zeichnen mit doppelter Linie.
"Linien // Paare" hieß denn auch, in doppelter Bedeutung, die Ausstellung in Rheda. Das Paar ist ein bevorzugtes Thema im Werk von Minkewitz (wir weden es auch in seinen Gilgamesch-Bildern finden, als Mann und Frau in Liebe, Mann und Mann in Freundschaft). Der Mensch steht und geht, liegt und ruht, lehnt und kniet, ist immer Mensch.
Mir kam angesichts des "Mannes im Wind" Rainer Maria Rilke in den Sinn. Im Katalog hatte ich diesen Eindruck ausgesprochen. Und da Sie, was ich bedaure, vielleicht nicht alle den Katalog besitzen, will ich diese Stelle hier wiederholen, wenigstens die Zeilen von Rilke:
"Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
und wird in den Alleen hin und her
unruhig wandern, wenn die Blätter treiben..."
Aber wielleicht habe ich mich geirrt, und ich hätte ebenso auch Hugo von Hofmannsthals Gedicht "Vorfrühling" bemühen können, das mit den Versen anhebt:
"Es läuft der Frühlingswind
Durch kahle Alleen,
Seltsame Dinge sind
In seinem Wehn."
Entstanden ist das Bild aber weder im Herbst, noch im Frühling, sondern in einem Sommer. Doch glaube ich wiederholen zu dürfen, was ich im Rhedaer Katalog geschrieben habe, daß nicht die erquickende Brise vom Strand der Ostsee gemeint sein könnte - ich sah es näher am Rilke-Gedicht. Etwas Gefährdetes schien mir. Und das will sich mir heute noch nachdrücklicher mitteilen. Sie werden verblüfft sein, vielleicht befremdet, wenn ich jetzt einen Namen nenne, der im Stil nichts mit dem von Minkewitz zu tun hat, und doch hat jener Name ein Zeitgefühl geprägt, das wir auch hier wiederfinden: Salvadore Dali. Das Prothetische, Getürmt-Zerbrechliche finden wir bei Dali immer wieder, ein Jahrhundertgefühl. Oder gar ein Jahrtausendgefühl - wenn wir bedenken, daß der Fall des New Yorker World Trade Center im Jahr 2001 geschah. Die Folgen sind unabsehbar.
Eigentlich hatte ich Ihre Aufmerksamkeit zu allererst auf die Radierungen lenken wollen, etwa die Hälfte von insgesamt 40 eines Zyklus. Minkewitz hat die Kassette vor fünf Jahren begonnen; da war er vierzig - sozusagen sich zur Feier. Die vierzig ist eine Symbolzahl. Laut Kirchenvater Augustinus bedeutet die Zahl Vierzig, wie ich einem Lexikon der christlichen Symbolik entnehme "das diesseitige Leben der Plage, Wanderschaft und Erwartung".
Von Plage war der Lebensweg von Reinhard Minkewitz, soweit wir sehen, nicht heimgesucht, von Erwartung wohl. - Der Künstler sucht das Helle - einer Sammlung von 40 Radierungen hat er den Titel "Lichtungen" gegeben. Das klingt wie ein Programm. Aber es sind auch vorzügliche Nachtstücke darunter, wie auch in seiner Malerei. Wie er denn überhaupt das Schwarz verehrt, sonst würde er nicht mit Kohle zeichnen, bedürfte er nicht eben des reinen Weiß als Projektionsfläche. Die Farbe setzt er zurückhaltend ein, aber dann genießt er sie; ein Perlmuttblau, ein Honiggelb...
Das Grimmsche Wörterbuch hat für das Wort "Lichtung" als treffliche Belegstelle zur Hand: nach dem Verbum lichten, das Aushauen eines Waldes, eine ausgehauene Waldstelle. Eine Lichtung ist also etwas, das nicht a priori da war, sondern gemacht werden, aus einem Dunkel herausgelöst werden muß. Wer in der Lichtung ankommt, hat die Wanderschaft "per aspera ad astra" erprobt. Mit anderen Worten: Reinhard Minkewitz hat eine Reife erlangt, die ihn in den Kanon der von allen Gutwilligen respektierten Künstler eingereiht. - Eigentlich mehr Dresden zugewandt, habe ich in Leipzig über Ernst Hassebrauk, Werner Tübke, Volker Stelzmann, Frank Wahle gesprochen - ich sage das, um etwas von Anciennität festzumachen: Hassebrauk würde in drei Jahren 100, Wahle wird nächstes Jahr 50! Minkewitz ist - mit nun auch bald 45 Jahren - der Jüngste.
Minkewitz war mir seinerzeit, bevor ich ihn in persona kennenlernte, zu jung, und seine Kunst erschien mir spröde, zu asketisch. Aber mich faszinierte sein Hang zum Gesamtkunstwerk: Er macht Keramik, Pozellan, Stahl-Plastik, Bücher und sogar Möbel. So wünschte ich mir ein gemeinsames Buch und war vom Ergebnis beglückt: Die Radierungen, figürlich und gegenstandsfrei, in mehreren Farben gedruckt, auch orange, auch rosa, und einer der beiden kleinen Gdicht-Zyklen auf einem wie ein Triptychon gefalteten Bogen, und die Kassette in Pergament gebunden, in das Pergament eine Ritzzeichnung graviert...
Hier in der Ausstellung sind Radierungen als den Handzeichnungen gleichberechtigt eingestreut, der obere Raum gar ist einzig den Radierungen vorbehalten. Aber welcher Vielfalt! Sie können die Blätter gleichsam "Lesen". Die Ausstellungsliste unterscheidet nur grob Radierung und Kaltnadel, einmal Punzstich, aber es ist viel mehr an raffinierter druckgraphischer Technik, mit Collophonium, mit Zuckerwasser, mit Sandpapier, mit dem Polierstahl und allem, was Spaß macht. Die Kalte Nadel für die Linie, die Aquatinta für die Fläche. Der Zyklus ist insgeheim auch ein Katalog durckgraphischer Gelehrsamkeit. - Die Auflagen sind klein, 15 Exemplare, also jedes Blatt nahezu ein Original, und das ist gut so. Ich verstehe nicht, wie ein von mir hochgeschätzter Museumsmann, Spezialist für Graphik, sich neulich im Gespräch mit Minkewitz gegen kleine Auflagen wandte, Auflagen von 100, ja 200 Stück das Wort redete, Druckgraphik sozusagen als billiger Köder für künftige Sammler. Vielmehr, meine ich, muß der Kunstfreund die Graphik sich vorlegen, auch in die Hand nehmen, getrost auch einmal mit der Kuppe des Zeigefingers das Korn, den Grad betasten.
Wir finden bei Grimm viele Wörter mit "Licht" - lichtfroh, Lichtgedanke, Lichtgestalt, lichtgewoben, lichtheilig, lichthehr, Lichtkreis... und so weiter. - Eine menschengroße hohe Zeichnung, Kohle auf Leinwand, Frontispiz des Rhedaer Katalogs, heißt "Sternenglanz" - sie leuchtet auch hier in der Ausstellung.
Kommen wir aber auf die Radierungen zurück und spielen ein wenig mit ihren Titeln: "Luna", "zur Mogenzeit", "der weißen Tage Licht", "Gruß des Hahns", "Lammweiße Tage", aber auch "Mondloser Tag", "Umarmt von Dunkelheit"...
Eine der Radierungen hat der Künstler "Uranfängliches" benannt. Und damit sind wir bei einem seiner neueren Themen, dem babylonischen Epos "Gilgamesch". Marie Luise Kaschnitz beschreibt das so: "Die Erschaffung Engidus, des wilden Mannes aus dem Gilgamesch-Epos, hat zur Veranlassung eine menschliche Not... Wie tierhaft zunächst Engidus Erscheinung ist, wird ausführlich geschildert. Langes Haar umwallt sein Gesicht, Haar überwächst, dicht wie Getreide, seinen Körper, er rauft sich Kräuter zur Speise und trinkt, wie das Vieh, über die Tränke gebeugt. Tier unter Tieren ist er, das herrlichste vielleicht, aber in seinem Verhalten noch kaum unterschieden von den Wesen der Natur..."
"Haar überwächst, dicht wie Getreide, seinen Körper..." - so sah das auch einmal in dem fast klinisch reinen Atelier von Minkewitz aus. Der Künstler stellte sich der Bedrohung, die aus seiner eigenen Hand erwuchs - und er entzog sich der Aufgabe, sie zu bändigen, das Bild zu vollenden - er wischte die Kohle von der Leinwand und begann neu, ein anderes... Das sehen Sie nun in dieser Ausstellung, eine ganze Wand einnehmend: "Ghordo".
Ein ähnliches Bild gab es vordem schon bei ihm. Den Künstler hat der Automatismus des Zeichnens an und für sich verlockt, er ließ die Hand gewähren, selbst neugierig, was daraus entstünde, willkommene Assoziationen aufnehmen, unwillkommene abstoßend. Das erste Bild dieser für Minkewitz neuen Phase war das der drei halb verhungerten Katzen, die an einem Gebüsch - oder ist es eine Stacheldrahtrolle? - vorbeischleichen. Im "Ghordo" ist das Vexierbildhafte noch quälender ausweglos, eine totale Dornenkrone?
Unseren Künstler interessiert hier, rein formal betrachtet, die doppelte oder hohle Linie. Die Linie wie Koralle, zerbrechlich. - Im Gegensatz zur Doppel-Linie übt Minkewitz sonst eine geradezu geschnittene, ja ich sage: geschnittene, schier metallische; das kommt wohl von der Radierung und/oder vom Holzschnitt her. Die scharf "geschnittene" Linie bildet in der Ausstellung den Gegenpol zur geknäuelten Linie, unübersehbar bei der schlanken Figur des "Sternenglanz".
Minkewitz ist ein Adorant der Linie. Das veranlaßt mch, Ihnen ein Gedicht des Spaniers Rafael Alberti zu zitieren. Es ist in dem Buch "An die Malerei" enthalten, das den Untertitel hat "Poem von der Farbe und der Linie".
AN DIE LINIE
An dich, der menschlichen Anmut Kontur,
gerade, gewundene, tanzbare Geometrie,
wahntrunkene im Licht, Kalligraphie,
die noch den geringsten Nebel auflöst.
An dich, je tyrannischer umso fügsamer,
du Geheimnisvolle aus Blüte und Astronomie,
von Traum nicht zu trennen und Poesie,
dem Lauf verpflichtet, der innewohnt deinem Gesetz.
An dich, Inbegriff alles Trennenden,
Gefüge, Spinnennetz, Labyrinth,
in dem, gefangen, sich die Gestalt bewegt.
Deine Residenz das unbegrenzte Blau.
Dich preist der Punkt im Raume glühend.
An dich, Gerüst und Stütze du der Malerei.
Soviel zur Linie und zur Farbe. Aber ebenso bemerkenswert an dem Katzen-Bild, um noch einmal auf dieses zurückzukommen, wie die Linie ist der Charakter von Bewegung, ja von geradezu filmischen Sequenzen - wenn Sie das Bild eine Weile ins Visier nehmen, beginnen die Katzen zu laufen. Der Reiz liegt in der Illusion, im Als-ob des Kinetischen. Auf andere Weise haben das die italienischen Futuristen gemacht. Minkewitz macht es noch einmal auf seine.
Bewegung teilt sich dem Betrachter auch mit in dem Bilde des "Mannes im Wind". Der Wind fährt ihm durch alle Knochen und wirbelt ihn wie ein kinetisches Gestell. - Und Bewegung war schon in Kaltnadelradierungen des Jahres 1986, eine Schwimmerin und dann Kinder, die spielend im Kreis gehen.
Ich möchte die Rede nicht beschließen, ohne noch einmal das "reizende Nichts" zu beschwören, wie Goethe das Blau genannt hat. Es weist auf einen gewissen Minimalismus, auch auf das Spröde, das vor einigen Jahren zu meinen ersten Eindrücken der Minkewitzschen Kunst gehört hat. "Das karge Glück wollen" lautet eine Maxime in den Dichtungen von Walter Helmut Fritz, der in den Fünfziger Jahren mit dem Band "achtsam sein" begann. - Was ich seinerzeit als spröde empfand, stellt sich als keusch heraus. Das muß nicht unerotisch sein. Wilhelm Lehmbruck ist auch nicht "unerotisch", wiewohl anders als Rodin, als Maillol. Durchaus zeigt auch Minkewitz, wie Shamhat, "die Geweihte" dem Gilgamesch-Gefährten Engidu "ihre Wonne enthüllt", um es mit Marie Luise Kaschnitz zu sagen.
Noch einmal "Gilgamesch", mit dem der Künstler fünf Jahrtausende zurückgeht in die Menschheitsgeschichte. Er steht da in einer elitären Gemeinschaft: Willi Baumeister hat das Thema als Zyklus zwei Jahre vor Ende des Zweiten Weltkriegs in abstrakt gezeichneten Chiffren gedeutet; Josef Hegenbarth, wenig älter als Baumeister, hat sich in der ersten Hälfte der Zwanziger Jahre mit Radierungen in "Gilgamesch" vertieft, wie in das indische "Vasantanea", in die Alexanderzüge und in das Nibelungenlied - seine Dramatik machte auch vor Grausamkeiten nicht Halt.
Wechseln wir das Thema: Reinhard Minkewitz strebt zum Gesamtkunstwerk, ich sagte es wiederholt. In Stahl führt er seine Raum-Erkundungen fort. Angeregt von Solarisationen - seine Frau Marion Wenzel ist Photographin - hat der Künstler flächige stählerne Figuren mit Laserschnitt ausgefräst. Und nun geschieht mit ihnen das Wunderbare: Was skelettiert erscheint, wirft Schatten, die Volumen annehmen.
Man darf gespannt sein, was einem bei Minkewitz noch überraschen wird. In Niedergräfenhain, eine Stunde von Leipzig entfernt, wird er einen Pavillon errichten. Werner Tübke mit seinem Bauernkriegs-Panorama in Frankenhausen, Hartwig Ebersbach mit seinen mobilen Installationen von Bildern, die auf dem Fußboden liegen oder von der Decke herabhängen. Übervater Max Klinger im Spiel.
Sie werden, meine Damen und Herren, die Perfektion wahrgenommen haben, mit der Minkewitz sein Feld bestellt, bis in die Sauberkeit der Drucke, die Rahmung der Bilder. Für ihn ist das Handwerk, das heute weithin - auch an den Kunstakademien - vernachlässigt oder gar nicht mehr gekannt wird, etwas Selbstverständliches.
Er liebt - siehe oben - die Bewegung, aber auch die Ruhe, das Hingelagertsein. Still freilich ist auch das Bewegte. Alles in allem: Eine noble, eine vornehme Kunst.
© Dieter Hoffmann
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Im folgenden geben wir weitere Informationen zum Werk von Rainhard Minkewitz. Die Autoren sind Dr. Peter Guth, Kunsthistoriker in Leipzig, und noch einmal Dieter Hoffmann.
Auszug aus der Rede von Dr. Peter Guth zur Ausstellungseröffnung
"Reinhard Minkewitz in der Commerzbank" ,
2001
"...Ich zeichne, also bin ich, müßte
in Abwandlung von Cartesius das Motto des Künstlers
lauten, der mit aller Unbeirrbarkeit Widerhaken in das
Fleisch der Realität schlägt, um für
uns Möglichkeitsräume aufzureißen. Ich
zeichne, also bin ich, scheint mir auch ein gutes Motto
für Reinhard Minkewitz zu sein.
1957 geboren, studierte er an der Leipziger Hochschule
für Grafik und Buchkunst zunächst bei Dietrich
Burger, der mit seinen an der klassischen Moderne geschulten,
delikaten, abgedämpften und gebrochenen Farbigkeiten
und den warmtonig-malerischen bis karg-splittrigen Lineaturen
für die Schule und ihre Studenten die so rar gewordene
Noblesse bewahren konnte. Dann war da Rolf Kuhrt, der
als Zeichner und Holzschneider die klassische Mythenwelt
für die Gegenwart neu thematisierte. Doch mehr
als dieser direkte Einfluß sollten sich in der
Fogezeit Kunsthaltungen für Minkewitz als prägend
erweisen, die primär bei den künstlerischen
Mitteln selbst ansetzten. Das sind, neben der japanischen
Kunst, Gerhard Marcks, Carl Hofer, Walter Arnold, Hans
Theo Richter und, wie auch die beiden letztgenannten
ebenfalls aus Dresden stammend, Gerhard Kettner, bei
dem Minkewitz Meisterschüler war.
Eine kurze Zeit, sozusagen am Anfang des Werks, in
der Zeit der Klärung des eigenen Kunst-Wollens,
ging es noch um Erzählerisches und vielfach um
die Klärung anatomischer Sachverhalte. Aber diese
Dinge waren für ihn relativ schnell erledigt und
er verließ den illusionistischen Bildraum, den
Raum, in dem Figuren handelten und über die Handlung
eine Geschichte erzählen. Für ihn ging es
zunehmend um das, was er selbst "Gleichniss für
Welt, Urgestalten, die sich aus dem Leben der Menschen
ergeben", nennt. Die Suche nach diesen Archetypen
hatte fast zwingend eine Vereinfachung und Präzisierung
der grafischen Mittel zur Folge. Das heißt: es
ging immer mehr darum, auf der Fläche über
das ureigenste Mittel der Grafik, die Linie, Körperlichkeit
und Räumlichkeit enstehen zu lassen. Dabei sind
die Macherischen Tricks, etwa das Setzen vn Lichtern
oder die wirkungsvolle Eleganz der polierten Linie,
das Ausspielen von Hell und Dunkel nur die eine Seite,
die Reinhard Minkewitz meisterlich beherrscht.
Das alles bliebe zu bewurndernde Virtuosität,
wenn dieser Raum, ich nannte ihn eingangs poetischen
Raum und Minkewitz selbst nennt ihn mit Ernst Cassirer
symbolischen Raum, wenn dieser Bildraum nicht für
gedankliche Dimensionen stehen würde.
Die erste, am leichtesten zu identifizierende Dimension
ist die der Reduktion. Laotse hat gesagt: "Besser
aufhören denn überfüllen." Bei Reinhard
Minkwitz geht es ganz im eingangs dargelegten Sinne
um die Klarheit des geistigen Prinzips, um Ordnung,
hinter der sich Haltung verbirgt. Noch einmal: Der Künstler
schildert keinen Vorgang, sondern er hält einen
Moment fest, in dem die Zeichnung mit allem aufgeladen
wird, was an Begreifen und Fähigkeiten zu Gebote
steht. Hiert tilgt er alles Zufällige, unbedeutende
und Unverbindliche, um auf den Punkt zu kommen. Und
der heißt: In ein Minimum von formalem Aufwand
das Spannungsverhältnis von Form und Inhalt, Denken
und Ausdruck, Subjekt und Objekt hineinzuzpacken.
Eine weitere wichtige Dimension ist die der Selbstreflexion.
Sie wird eigentlich nicht vor dem Publikum ausgetragen;
sie ist die Qualt im Machen. Ganz äußerlich
betrachtet könnte man sagen, ein grandioses Werk,
wie Minkewitz' 40-Jahre-Mappe, aus der hier einige wenige
Blätter zu sehen sind, ist so eine Selbstreflexion
im Snne einer "Summe der Existenz". Was habe
ich geleistet, was kann ich, wie ist der Stand der Dinge?
Aber eigentlich ist das nicht gemeint, Selbstreflexion
zielt auf einen Abgleich des moralischen Anspruchs mit
dem, was das Werk tatsächlich spiegelt. Es ist
ein großer Unterschied - und nebenbei bemerkt
ist das nicht nur eine künstlerische Fragestellung
- einen Anspruch zu erheben und diesen Anspruch mit
den eigenen gestalterischen Mitteln auch einzulösen.
Karl Kraus hat einmal gesagt: "In der Kunst ist
nichts schlimmer als es gut gemeint zu haben."
Wenn die Zeichnung schwafelig bleibt, mit Geschichtchen
schwadroniert, hier und da Episoden erzählt, ist
das Ziel verfehlt. Das, was zu erzählten ist, in
eine zeichnerische Geste zu zwingen, das ist die Kunst
- und das ist verdammt schwer.
Eine Dritte Dimension deutet auf freundliche Auflösung
der Problemschwere. Es geht um Erotik, aber dies nicht
in einem vordergründigen Sinne, sondern wieder
um Räume, die uns Reinhard Minkewitz sozusagen
als gedankliche Spielwiesen eröffnet. Die reichen
vom tiefen, ernsthaften Ansatz, von der dunklen Seite
des Lebens und der dunklen Seite in uns über die
Sinnlichkeit der Landschaft, wie sie die Romantiker
gesehen haben, das heißt also in einer Mischung
aus lebendiger Erfahrung und Bedeutung, bis hin zur
heiteren, rokokohaften Pastorale. Die Titel allein belegen
diese Spannweite - Nachtschwarze Mutter - Mondscheinblau
- Gruß des Hahns. Natürlich wäre es
ein bisschen mager, Erotik nur aus den Räumen zu
erklären, in denen sie abläuft. Reinhard Minkewitz'
Kunst ist eine, die sich über den Körper definiert.
Und gerade in diesem Punkt erlebt man bei ihm die sehr
schöne Seite der Erotik, nämllich das Unausgesprochene,
Geheimnisvolle, das zwischen Spannung und Entspannung
der Linien liegt. Verfolgt man die erotische Seite in
Reinhard Minkewitz' Kunst weiter, outet er sich bei
allem geistigen Anspruch und bei aller Problembewußtheit
doch als ein Harmoniesucher, der noch immer nach einem
Arkadien unterwegs ist. Arkadien, wir wissen es, trägt
utopische Züge, aber diese Idealform des Seins,
dieser Traum von ungebrochener Schöneheit, macht
uns eigentlich, so denke ich, unsere Existenz erst möglich.
Und es lohnt, um zum Anfang zurückzukommen, hinter
dem ersten Eindruck, den wir von dem fast zerrissenen
Mann im Wind bekommen haben, diese zweite Ebene der
glücklichen Auflösung im Werk von Reinhard
Minkewitz zu suchen. Dafür und für diesen
Abend wünsche ich Ihnen alles denkbare Vergnügen.
© Peter Guth
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Dieter Hoffmann: Linien//Paare - Neue Arbeiten von
Reinhard Minkewitz (Auszug)
Reinhard Minkewitz is Künstler in Leipzig, aber
er gehört keiner "Leiziger Schule" an,
weder der von Werner Tübke, noch der von Bernhard
Heisig begründeten.
Die Beschäftigung der Kunst mit der Figur hatte
in der "Karlsruher Schule" HAP Grieshabers
seit den späten Fünfzigerjahren einen äußerst
fruchtbaren Hort. Damals wurde Reinhard Minkewitz in
Magdeburg geboren; wenn es denn im Osten Deutschlands
spezifisch "leipzigerisch" ist, das Figurenbild
zu bevorzugen, erweist sich Minkewitz als absolut "Leipzig".
In erster Linie (sic!) versteht sich Minkewitz als Zeichner,
aber wenn er in die Farbe geht, dann wieder anders als
Valerio Adami, der die Farbe als planen Fond für
eine Art Liniengitter einsetzt: Minekwitz umgibt die
Linie mit einem gleichsam verfließenden Sfumato;
(er liebt gelegentlich auch hell marmorierte Papiere
als Grund für Radierungen). Wie ein Paradox mag
es scheinen, daß Minkewitz, wenn er Radierungen
macht, diese in Ausnahmefällen gern farbig druckt,
also malerisch: sepiabraun, kupfergrün, sogar orange
oder rosa.
Der Wettstreit zwischen Linie und Farbe, zwischen Zeichnung
und Malerei, ist alt- und allbekannt. Minkewitz ist
da eines Sinnes mit R.B. Kitaj, Apologeten eines "zeichnerischen
Malens", dem der Umriß als ein "Evangelium"
erscheint und der sich auf nicht wenige Alte Meister
beruft.
Der Maler und Zeichner - und als Grafiker Radierer
und Holzscheider - spielt mit dem Arrangement der Figuren,
seinen Kunstfiguren, die nur selten in größerer
Zahl als zu dritt auftreten, meist als Paar oder vereinzelt
allein. Der Einzelne behauptet sich (im leeren Raum).
Es ist entscheidend, wie viel freier Raum um die Figur
herum zum "Atmen" bleibt, aber nicht nichts
ist, sondern mitspricht, wie der Himmel bei Caspar David
Friedrich. "Ereignisarm" nennt Minkewitz seine
Personnage, und solcher Quietismus ist ein sparsam weiser
amor vacui. Hin und wieder ist die Figur androgyn, nicht
geschlechtsbetont. Vielleicht ist es das, was den Zeichnungen
und Bildern ihre unnahbare Keuschheit verleiht, bis
zur Sprödigkeit. Statt sinnlichen Fleisches tritt
uns schier die Muskulatur vor Augen, wie in Signorellis
"Weltgericht". "Trockener September"
ist eine stehende Figur benannt: Es ist nicht mehr saftiger
Sommer, noch nicht reicher Oktober. Die Linie selbst
will hier "trocken" sein. Es gelingt, am Einfachen
das Sein im Raum sichtbar zu machen.
In seinen Anfängen wollte Minkewitz durchaus auch
Massen bewegen; Blätter zur Leipziger Völkerschlacht
bleiben dem Thema nichts schuldig. Man könnte in
seinem nun kultivierten Minimalismus eine "splendid
isolation", einen Rückzug auf die glückliche
Familie sehen, Paare, auch Mutter und Sohn; die eigene
Familie und symbolhaltig die Familie überhaupt.
Ein Künstler des Zwanzigsten Jahrhunderts, den
Minkewitz verehrt, ist Hans Theo Richter, Mentor Gerhard
Kettners, der wiederum Minkewitz als seinen Meisterschüler
förderte - Minkewitz ist mithin ein "Enkelschüler"
von Richter; er verehrt ihn einmal wegend der Seelenverwandtschaft,
der asketischen Liebe zum Grafischen, zum Schwarz-Weiß,
zum anderen aber auch wegen dessen beharrlicher Mutter-und-Kind-Darstellung.
Der Leipziger Kunsthistoriker Peter Guth, doch eingeschworener
Interpret Hartwig Ebersbachs, eines Künstlers,
der die Linie zum purer Malerei willen getilgt hat,
feiert bei Minkewitz eben die Linie. Er schreibt in
Bezug auf die Radierung: "Denn wie er die Linie
poliert, aus einem stehengelassenen Grat noch einen
Schatten heraus zaubert, ist schon bemerkenswert. Linie,
Licht und Schatten - das sind die Organe der Graphik,
und Minkewitz haucht ihnen dramatisches Leben ein."
© Dieter Hoffmann, Ordentliches Mitglied der Akademie
der Wissenschaften und der Literatur, Mainz aus: Reinhard
Minkewitz Linien//Paare, Orangerie am Schloß Rheda
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