Leipzig, die Stadt der Bildermacher, erlebt einen Bilderstreit, vom Zaun gebrochen nicht etwa von Kritikern aus dem Westen, die noch lange nach dem Fall der Mauer Kunst aus der DDR sämtlich für ideologisch kontaminiert hielten. Diesmal sticht�s heraus aus dem eigenen Nest. Erich Loest kontra Werner Tübke. Der 81-jährige Erfolgs-Schriftsteller mit Dissidenten-Biografie gegen den 2004 verstorbenen Erfolgsmaler mit DDR-Nationalpreis.
Im Studenten-Café aber erntet die Frage nach diesem Streit, der gerade in der Lokalpresse raus und runter geschrieben wird, Schulterzucken. Kein Thema, dass auf dem Uni-Gelände, wo bis 2009 gebaut wird, 32 Jahre lang ein Bild von Werner Tübke hing, das neuerdings schwer angezweifelt wird. Auch dass es an prominenter Stelle zurückkehren soll, ist den jungen Leuten von der bald 600-jährigen Alma Mater Lipsiensis weder bekannt noch tangiert es sie. Sie stecken in den Prüfungen.
Einen tiefen Seufzer hingegen ist �die Sache� der gesprächigen Dame in der Leipzig-Information wert. Was heißt hier Bilderstreit und auch noch �hausgemacht�, reagiert Irene M. lebhaft. Nun ja, die Stadt schmückt sich seit Jahren mit der Malerei von Werner Tübke, diesen Meister aus der �Alten Leipziger Schule�. Aber sie hat eben auch neue Instanzen. Erich Loest, der Schriftsteller (�Durch die Erde ein Riss�, 1981, �Nikolaikirche�, 1995), ist solch eine: Bürgerrechtler, unter Ulbricht sieben Jahre im Gelben Elend von Bautzen gesessen, Dissident und 1990 zurückgekehrt aus dem Westen, heutiger Leipziger Ehrenbürger.
Wenn er, sagt Loest, so kategorisch sage, das ideologische Wandbild �Arbeiterklasse und Intelligenz� von 1973 dürfte nicht mehr allein so prominent im künftigen neuen Universitätsbau hängen, dann habe er dafür seine Gründe, sagte die Frau in der Leipzig-Information, gerade wegen seiner Biografie. Aber das Andenken Tübkes, der ja tot ist und sich nicht mehr wehren kann, werde dabei beschmutzt. Und das sei vielen Bürgern so gar nicht recht.
Die Älteren Wissen, dass Tübkes 14 Mal drei Meter auslandendes Panoramagemälde, das bis zum Campus-Umbau im Foyer des Rektors hing, ein Auftragswerk der SED war. In dem grandiosen Bildgetümmel von über 100 akribisch gemalten Studenten, Professoren, historischen Denkern (Leibnitz und Marx) und Arbeitern ist weit hinten der damalige Rektor Pauls Fröhlich dargestellt, Dieser Mann hatte zugelassen, dass Ulbrichts Handlanger die gotische Universitätskirche St. Paul sprengten. Sie stand an der Stelle, wo jetzt der neue Campus entsteht. Tübkes Wandbild soll ab 2009 genau dort hängen. Das hat Erich Loest fürchterlich aufgeregt. Ihn interessiert nicht, dass dieses Bild einmaliges Beispiel der Postmoderne aus DDR-Zeit ist. Für ihn ist es "das völlig falsche Zeichen für eine Universität in der Demokratie". Das Bild als sozialistische Apotheose der �Sieger der Geschichte� solle besser im Museum der bildenden Künste bleiben.
Aber dann, eingedenk Tübkes künstlerischen Ruhms, lenkte Loest doch ein: Das Panorama brauche zumindest �einen Gegenpart� einen, der
"den postumen Triumph der Partei über Vertreibung, Verhaftung und Einschüchterung" kontrastiere. Auf eigene Faust und eigenen Kosten suchte Loest einen Leipziger Maler. Einen, der sich dieses unrühmlichen Kapitels annehmen würde, das Tübkes Festbild nicht zeigt: die Opfer realsozialistischer Demagogie. Die Sprengungen der Paulinerkirche sollte zu sehen sein und die in den Fünfzigern und Sechzigern an der Karl-Marx-Universität Leipzig Gemaßregelten. Loest wollte den zwangsemeritierten Philosophieprofessor Ernst Bloch und den ebenfalls angeeckten Literaturprofessor Hans Mayer im Bild haben. Ebenso die relegierten Studenten Wolfgang Natone, den Christen Werner Ihmels, der in der Stasihaft umkam, und den Studentenpfarrer Siegfried Schmutzer, der vier Jahre Zuchthaus Bautzen ertragen musste. Lange fand Loest keinen, dann
sagte Reinhard Minkewitz, ein bekannter Leipziger Künstler, zu. Sein Entwurf ist fertig, die Öffentlichkeit sah ihn am Donnerstag Abend in der Galerie des Hotels Leipziger Hof zum ersten Mal.
Es kam kein Apfel mehr zur Erde, so viele sind gekommen. Das geistig-kulturelle Bürgertum der Stadt ist versammelt. Vor diesen Leuten begründet Loest, wieso er � 17 Jahre nach dem Ende der DDR und 17 Jahre nach seiner Rückkehr aus dem Exil � Privat ein Bild, �als Antwort auf das Tübke-Gemälde von 1973� in Auftrag gab. Er erklärt, warum das Panorama trotz der fulminanten Manier �ein Gegenbild� brauchte, das Auskunft erteilte über die �Vernichtung der bürgerlichen Universität�.
Einzelne Stimmen aus dem über �die Sache� selbst eher nachdenklich schweigenden Publikum bezeichnen die Leipziger Gemengelage: Ein Mann aus der Thomanergemeinde kritisiert, der Bilderstreit führe unverzeihlicherweise zu heftigen persönlichen Verletzungen; er meint damit das Ansehen von Tübke. Ein alter Theologieprofessor hingegen sagt, die Sprengung der Paulinerkirche auf dem Uni-Gelände damals habe eine Wunde geschlagen, die nie verheilt sei. Das zeige der Streit.
Schließlich redet Reinhart Minkewitz, der Maler. Und er nimmt Loests harsche Bezeichnung "Gegenbild" zurück; er nennt es lieber einen "geschichtlichen Dialog" zweier Gemälde, der jeweils "Zeitbühnen seien. "Malerisch ist Tübkes Panorama über jeden Zweifel erhaben"; so Minkewitz. Und:
"Ich will und kann mich mit Tübke ja nicht messen. Ich mache einen Vorschlag, wie eine historische Ergänzung aussehen könnte. Damit jene, die damals, an dieser Universität den aufrechten Gang wagten und scheiterten, nicht vergessen sind. Mein Entwurf dafür ist eine Fiktion, so wie Tübkes Panorama eine Fiktion gewesen ist.""
Minkewitz� Dreiteiler �Aufrecht stehen� ist als Altarbild ohne Predella angelegt: Bleierne Zeit. Bleierne Farben. Der Erdboden, der Platz vor der alten Uni und vor Portal und Giebel dergesprengten Paulinerkriche sind zerborsten. Es gibt für die an ihren Tischen vereinzelt sitzenden Professoren und Studenten, auf leeren Stühlen und vor einem langen Mauertunnel im rechten Bildflügel keinen heilen Boden, keinen Standort, keine Zukunft mehr. Caspar David Friedrichs Eisschollen-Motiv �gescheiterte Hoffnung� scheint auf.
Ein Vandalenakt? �Ja, es war vandalisch, was damals passierte�, sagt der Maler Minkewitz. Aber ich bin ein �Spätgeborener�. Ich maße mir nicht an, zu urteilen. Ich male nur, was ich erfahren habe.
Was Minkewitz erfahren hat und was Loest so vehement einfordert, um die Leipziger Studentenschaft künftig ins Bild zu setzen über die Uni-Vergangenheit, ist im Auftragswerk, das Tübke von 1970 bis 1973 malte, nicht angesprochen. Die Arbeiterklasse und die Intelligenz als Allianz für das Glück der Nation � das war die große Utopie in der kleinen DDR. Und der Virtuose unter den Malern der Leipziger Schule hatte die Vision fulminant nach seinem Gusto, nicht nach Vorgaben ins Bild gesetzt. Tübke malte, da hat Loest unrecht, keinen Sozialistischen Realismus. Seine Intellektuellen, die Studenten, Doktoranden, Assistenten, Dozenten, Professoren, sind � neben den unsicher-fragend aus dem Bild blickenden Bauarbeitern, ein dynamischer, nicht erdverhafteter Haufen. Wie immer in Tübkes Motiven gibt es Metaebenen, sarkastische Anspielungen, wiedersprechende Verweise. Diese sozialistische Intelligenzia war keine klassenstandpunktfeste Gemeinschaft.
Nun gerät der Streit um Tübkes Wandbild und sein melancholisches Gegenstück selbst zu einem Stück Zeitgeschichte. Die Uni-Leitung ist am Premiereabend zugegen, sie will mit der Kunstkommission beraten, ob dieser Bilderstreit in ein �Gespräch der Bilder� münden könnte. Uni-Direktor Häuser: �Das Tübke-Bild ist hohe Kunst. Wir sind keine Bilderstürmer�. Der Malauftrag müsse aus einem Büro kommen. Zwei Jahre ist Zeit Loest und Minkewitz warten.
von Ingeborg Ruthe
Korrektur der Redaktion: Der Beitrag enthielt einen Fehler: Paul Fr�hlich war 1968, als die Leipziger Universit�tskirche (Paulinerkriche) gesprengt wurde, SED-Bezirkschef. Rektor der Karl-Marx-Universit�t Leipzig war er nie.