Berliner Zeitung     12.05.2007

Arbeiterklasse und Intelligenz
Auftragswerk 1970: Werner Tübke, der Virtuose der �Leipziger Schule�, malte �Arbeiterklasse und Intelligenz� für die Karl-Marx-Uni (Ausschnitt). (Foto: Wolfgang Zeyen)

Die Sache mit dem Aufrecht-Stehen

Der Schriftsteller Erich Loest ließ ein Gegenstück zum Tübke-Panorama der Uni Leipzig malen


Leipzig, die Stadt der Bildermacher, erlebt einen Bilderstreit, vom Zaun gebrochen nicht etwa von Kritikern aus dem Westen, die noch lange nach dem Fall der Mauer Kunst aus der DDR sämtlich für ideologisch kontaminiert hielten. Diesmal sticht�s heraus aus dem eigenen Nest. Erich Loest kontra Werner Tübke. Der 81-jährige Erfolgs-Schriftsteller mit Dissidenten-Biografie gegen den 2004 verstorbenen Erfolgsmaler mit DDR-Nationalpreis.

Im Studenten-Café aber erntet die Frage nach diesem Streit, der gerade in der Lokalpresse raus und runter geschrieben wird, Schulterzucken. Kein Thema, dass auf dem Uni-Gelände, wo bis 2009 gebaut wird, 32 Jahre lang ein Bild von Werner Tübke hing, das neuerdings schwer angezweifelt wird. Auch dass es an prominenter Stelle zurückkehren soll, ist den jungen Leuten von der bald 600-jährigen Alma Mater Lipsiensis weder bekannt noch tangiert es sie. Sie stecken in den Prüfungen.

Einen tiefen Seufzer hingegen ist �die Sache� der gesprächigen Dame in der Leipzig-Information wert. Was heißt hier Bilderstreit und auch noch �hausgemacht�, reagiert Irene M. lebhaft. Nun ja, die Stadt schmückt sich seit Jahren mit der Malerei von Werner Tübke, diesen Meister aus der �Alten Leipziger Schule�. Aber sie hat eben auch neue Instanzen. Erich Loest, der Schriftsteller (�Durch die Erde ein Riss�, 1981, �Nikolaikirche�, 1995), ist solch eine: Bürgerrechtler, unter Ulbricht sieben Jahre im Gelben Elend von Bautzen gesessen, Dissident und 1990 zurückgekehrt aus dem Westen, heutiger Leipziger Ehrenbürger.

Wenn er, sagt Loest, so kategorisch sage, das ideologische Wandbild �Arbeiterklasse und Intelligenz� von 1973 dürfte nicht mehr allein so prominent im künftigen neuen Universitätsbau hängen, dann habe er dafür seine Gründe, sagte die Frau in der Leipzig-Information, gerade wegen seiner Biografie. Aber das Andenken Tübkes, der ja tot ist und sich nicht mehr wehren kann, werde dabei beschmutzt. Und das sei vielen Bürgern so gar nicht recht.

Die Älteren Wissen, dass Tübkes 14 Mal drei Meter auslandendes Panoramagemälde, das bis zum Campus-Umbau im Foyer des Rektors hing, ein Auftragswerk der SED war. In dem grandiosen Bildgetümmel von über 100 akribisch gemalten Studenten, Professoren, historischen Denkern (Leibnitz und Marx) und Arbeitern ist weit hinten der damalige Rektor Pauls Fröhlich dargestellt, Dieser Mann hatte zugelassen, dass Ulbrichts Handlanger die gotische Universitätskirche St. Paul sprengten. Sie stand an der Stelle, wo jetzt der neue Campus entsteht. Tübkes Wandbild soll ab 2009 genau dort hängen. Das hat Erich Loest fürchterlich aufgeregt. Ihn interessiert nicht, dass dieses Bild einmaliges Beispiel der Postmoderne aus DDR-Zeit ist. Für ihn ist es "das völlig falsche Zeichen für eine Universität in der Demokratie". Das Bild als sozialistische Apotheose der �Sieger der Geschichte� solle besser im Museum der bildenden Künste bleiben.

Aber dann, eingedenk Tübkes künstlerischen Ruhms, lenkte Loest doch ein: Das Panorama brauche zumindest �einen Gegenpart� einen, der

"den postumen Triumph der Partei über Vertreibung, Verhaftung und Einschüchterung" kontrastiere. Auf eigene Faust und eigenen Kosten suchte Loest einen Leipziger Maler. Einen, der sich dieses unrühmlichen Kapitels annehmen würde, das Tübkes Festbild nicht zeigt: die Opfer realsozialistischer Demagogie. Die Sprengungen der Paulinerkirche sollte zu sehen sein und die in den Fünfzigern und Sechzigern an der Karl-Marx-Universität Leipzig Gemaßregelten. Loest wollte den zwangsemeritierten Philosophieprofessor Ernst Bloch und den ebenfalls angeeckten Literaturprofessor Hans Mayer im Bild haben. Ebenso die relegierten Studenten Wolfgang Natone, den Christen Werner Ihmels, der in der Stasihaft umkam, und den Studentenpfarrer Siegfried Schmutzer, der vier Jahre Zuchthaus Bautzen ertragen musste. Lange fand Loest keinen, dann

Arbeiterklasse und Intelligenz
Der Schriftsteller Erich Loest (r.) und der Maler Reinhard Minkewitz bei der Bildpremiere in Leipzig. (DPA/ Waltraud Grubitzsch)

sagte Reinhard Minkewitz, ein bekannter Leipziger Künstler, zu. Sein Entwurf ist fertig, die Öffentlichkeit sah ihn am Donnerstag Abend in der Galerie des Hotels Leipziger Hof zum ersten Mal.

Es kam kein Apfel mehr zur Erde, so viele sind gekommen. Das geistig-kulturelle Bürgertum der Stadt ist versammelt. Vor diesen Leuten begründet Loest, wieso er � 17 Jahre nach dem Ende der DDR und 17 Jahre nach seiner Rückkehr aus dem Exil � Privat ein Bild, �als Antwort auf das Tübke-Gemälde von 1973� in Auftrag gab. Er erklärt, warum das Panorama trotz der fulminanten Manier �ein Gegenbild� brauchte, das Auskunft erteilte über die �Vernichtung der bürgerlichen Universität�.

Einzelne Stimmen aus dem über �die Sache� selbst eher nachdenklich schweigenden Publikum bezeichnen die Leipziger Gemengelage: Ein Mann aus der Thomanergemeinde kritisiert, der Bilderstreit führe unverzeihlicherweise zu heftigen persönlichen Verletzungen; er meint damit das Ansehen von Tübke. Ein alter Theologieprofessor hingegen sagt, die Sprengung der Paulinerkirche auf dem Uni-Gelände damals habe eine Wunde geschlagen, die nie verheilt sei. Das zeige der Streit.

Schließlich redet Reinhart Minkewitz, der Maler. Und er nimmt Loests harsche Bezeichnung "Gegenbild" zurück; er nennt es lieber einen "geschichtlichen Dialog" zweier Gemälde, der jeweils "Zeitbühnen seien. "Malerisch ist Tübkes Panorama über jeden Zweifel erhaben"; so Minkewitz. Und:



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Auftragswerk 2007: Reinhard Minkewitz malte �Aufrecht stehen� (Ausschnitt) als Gegenstück zu Tübke. Der Mäzen ist Erich Loest. (Foto: Reinhard Minkewitz)



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