GALERIE HOTEL LEIPZIGER HOF
Hier schlafen Sie mit einem Original


Wolfgang Mattheuer und der Leipziger Hof,
eine Erinnerung an den verstorbenen großen Bildermacher
und den Freund unseres Hauses zum 80. Geburtstag.


Wolfgang Mattheuer wäre am 7. April 2007 achtzig Jahre alt geworden. Mit Fotos aus dem Leipziger Hof und mit Aufzeichnungen aus unseren zahlreichen Gesprächen möchte ich an den großen Leipziger Maler erinnern, der sich stets lieber einen Bildermacher als einen Maler nannte.


Prof. Wolfgang Mattheuer (re.) und Hausherr Prof. Dr. Klaus Eberhard im 'Gewandhauszimmer' des Leipziger Hofs (1996)
nach einer Ausstellungseröffnung in der Galerie des Hauses. Foto ©Galerie Hotel Leipziger Hof.


Viele Male haben wir uns zu Gesprächen getroffen, in Mattheuers Wohnung in der Hauptmannstrasse und im Galerie Hotel Leipziger Hof und haben über Jahre hinweg ausgiebige, stets stundenlange Gespräche über verschiedenste Themen geführt. Hier möchte ich über meinen ersten Besuch bei Wolfgang und Ursula Mattheuer im Jahre 1995 mit meinen (fast) wörtlichen Tagebuchaufzeichnungen von damals an Wolfgang Mattheuer erinnern.

Von mehreren Seiten hatte ich gehört, es sei nicht einfach, 'an Mattheuer heranzukommen'. Ich hatte Herrn Graf, den Chef der berühmten Leipziger Rahmenwerkstatt 'Quadriga' dazu gewonnen, Herrn Mattheuer auf einen Anruf von mir vorzubereiten.

Mattheuer war sehr freundlich und sagte mir, kommen Sie morgen gegen 9 Uhr vorbei, ich zeige ihnen gerne, was an den Wänden hängt.

Am nächsten Morgen sitzen wir am runden Tisch im Erkerzimmer seiner großbürgerlichen, fast 400 qm großen Wohnung und genießen den Blick in den Clara-Zetkin-Park. Mattheuers wohnen in der 'belle etage'. Früher haben in den Stockwerken darüber ihre Kollegen Werner Tübke, Bernhard Heisig, Sighard Gille und weitere bekannte Leipziger Maler gewohnt - ein Kunsthaus und voller Geschichten über die größten Maler dieser Stadt.




Wolfgang Mattheuer, 'Zetkinpark im März', Öl auf Sperrholzplatte, 1970, Auf der Rückseite hat der Künstler handschriftlich vermerkt: '1970/6', W. Mattheuer, 'Zetkinpark im März (aus unserem Erkerfenster)'.


Ich beginne unser Gespräch über Hanns Mayer-Foreyt, der auch im Hause wohnte, und über eines meiner Lieblingsbilder von ihm, das den Blick aus dem obersten Stockwerk in den Park zeigt. 'Ich habe Mayer-Foreyt immer für seinen Blick über den Park beneidet. Er konnte über den Park hinweg zur Hochschule hinübersehen, wir mußten immer unten wohnen, sehen nur Bäume und Grün'.

Bei einem meiner späteren Besuche überrascht mich Mattheuer mit einem kleinen Ölbild, das er bereitgestellt hat und das ebenfalls den Blick in den Clara-Zetkin-Park zeigt, diesmal aber aus dem Erkerzimmer seiner Wohnung. Ich erwerbe es von ihm für unsere Sammlung.


Nachfeier beim traditionellen Künstlermenü im Gewandhauszimmer des Leipziger Hofs im Anschluß an die Eröffnung der Mayer-Foreyt Ausstellung (1996). Am Tisch zu sehen sind (von links): u.a. Wolfgang Mattheuer, Ursula Mattheuer-Neustädt, Heinz Wagner, Reinhard Minkewitz, Peter Guth, Günter Altert Schulz, Maritta Schulz, Barbara Mayer-Foreyt. Foto ©Galerie Hotel Leipziger Hof.


Wir kommen auf München zu sprechen. Ich erzähle ihm, daß ich seit über 20 Jahren Physikprofessor an der Ludwig-Maximilians-Universität, der größten Universität in Deutschland, bin. "München ist eine Residenzstadt", sagt er. Residenzstädte haben immer einen ganz anderen Charakter als 'normale' Städte. "Auch die Menschen sind anders, sie sehen anders aus und sie verhalten sich auch anders als in normalen Städten." Er führt noch als Beispiel einen kleinen Ort in der Nähe seiner Heimatstadt Reichenbach im Vogtland an, der einmal Residenzstadt war. "Man merkt es heute noch", sagt er.

Mattheuer und seine Frau waren während der DDR-Zeit einige Male in München. Seine Schwester wohnt seit 20 Jahren in München. Aber sie haben bei den Besuchen meistens im Hotel gewohnt, "wir hatten immer genügend Westgeld". Nur einmal zur Oktoberfestzeit gab es keine Zimmer mehr und sie mußten bei der Schwester wohnen. "Es war schrecklich", sagt er.


Wolfgang Mattheuer (li.) und Malerkollege Harald Bauer in der Galerie. Foto ©Galerie Hotel Leipziger Hof


Ob er bei seinen Westbesuchen auch seine Arbeiten direkt - also ohne Zwischenhändler - an westdeutsche Museen oder Sammler, etwa Peter Ludwig, verkauft habe, möchte ich von ihm wissen.

Er holt ein wenig aus: Ludwig sei mehrmals bei ihm in Leipzg gewesen. "Ich habe ihn immer bewundert", beginnt er. Leute wie Ludwig waren wirtschaftlich erfolgreich, hatten genug Geld, um Kunst zu kaufen und hatten auch noch genug Zeit, sich der Kunst zu widmen". Ludwig sei stets bestens informiert gewesen über seine, Mattheuers Arbeiten; wohl aufgrund eines sehr kompetenten Mitarbeiterstabes, der Ludwig ständig auf dem Laufenden gehalten habe.

"Ludwig suchte dann die Bilder persönlich aus. Auch der Verkaufspreis wurde zwischen uns festgelegt. Die Bilder wurden aber über den staatlichen Kunsthandel in den Westen gebracht".

Bis auf kleinere Grafikblätter in einigen Fällen habe er nie den staatlichen Kunsthandel übergangen. Er habe stets gefürchtet, daß man solche Vergehen genau zusammentrage und man ihm schließlich, wenn man nach einem Vorwand gesucht hätte, ihm einen Strick daraus hätte drehen können.


Heinz Wagner (v.li.), Galerist Matthias Kleindienst, Wolfgang Mattheuer und Hausherr Klaus Eberhard während einer Ausstellungseröffnung in der 'galerie.leipziger-schule' im Galerie Hotel Leipziger Hof. Foto ©Galerie Hotel Leipziger Hof.


In diesem Zusammenhang frage ich ihn nach seinen Stasiakten. Er hat sie bei der Gauckbehörde eingesehen, insgesamt 3.800 Seiten. Seine Wohnung war voll von Wanzen. Man hat seine sämtlichen Gespräche, Telefonate aufgezeichnet. Minutiös war festgehalten, wann z.B. Ludwig in Berlin in die DDR einreiste, wann er die Wohnung in Leipzig betrat, und natürlich die Gespräche, erläutert Mattheuer. "Nur wenn wir in diesem Erkerzimmer saßen, wie jetzt", sagt er, "brach der Bericht ab. Hier waren offenbar keine Wanzen versteckt, was wir damals jedoch nicht wußten.

Er spricht zu meiner Verwunderung fast vergnüglich amüsiert - allerdings mit einem nicht zu überhörenden zynischen Unterton - über diese Stasiakten, macht sich teilweise lustig darüber und erwähnt dann noch, mit einem höhnischen Seitenhieb auf seine Kollegen, daß diejeni­gen, über die keine Akten angelegt seien, heute enttäuscht seien, weil sie so bedeutungslos gewesen seien. "Furchtbar für diese Kollegen", sagt er, "ihre Akten einsehen zu wollen, und dann mitgeteilt zu bekommen, daß keine vorliegen". Wir lachen.

Es hat kaum ein Gespräch in Leipzig Mitte der 90-ziger Jahre - und eigentlich bis heute - gegeben, in dem nicht die Wende und die Wiedervereinigung auftauchen. "Viele, die aus der DDR in die Bundesrepublik gegangen sind, sind nach wie vor gegen die Wiedervereinigung", erläutert er, auch am Beispiel seiner Schwester. "Man kann es schlecht ertragen, daß die anderen nun auch über die glei­chen Möglichkeiten verfügen, und insbesondere über die Westmark". Und er erklärt weiter, es sei oft deprimierend gewesen - beispielsweise auf der Leipziger Messe - wie drittklassige Leute nur wegen ihrer Westmark Eindruck machen wollten und dies auch machen konnten.

Seine Schwester habe nie ein anerkennendes Wort über seine Bilder, seine Auszeichnungen, die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes (nach der Wende) oder sonstwie für ihn gefunden. Ich wundere mich, wie offen er dies ausspricht.


Wolfgang Mattheuer in unserer Galerie während einer Podiumsdiskussion zur unseligen Ausstellung 'Aufstieg und Fall der Moderne' mit 'DDR Kunst' in Weimar im Jahre 1999.
Dem Ausstellungsmacher, Prof. Preiß, warf er 'haßerfüllte Siegermentalität' vor. Hier vor einem Bild des Leipziger Malers Michael Kunert. Foto ©Armin Kühne


Er erzählt von Reichenbach, seiner Heimatstadt im Vogtland. Dort verbringen sie meist die Wochenenden, leben in seinem (einfachen) Elternhaus, und gehen viel spazieren. Er liebt die Landschaft des Vogtlandes, hat diese sehr häufig gemalt. "Aus Ihren Bildern sieht man, daß Sie dieses Land lieben", sage ich. "Ja". erwidert Mattheuer, "Sie haben Recht"




"Der grüne Morgen" in unserer Sammlung. Er hängt in Zimmer 408. Foto ©Galerie Hotel Leipziger Hof


Mattheuer liest gerade das neue Buch von Peter Handke. Ich er­wähne, daß ich Handke's "Linkshändige Frau" nicht verstan­den habe. "Solange Sie arbeiten, verstehen Sie Handke nicht", doziert Mattheuer, "man muß sehr viel Zeit haben, um Handke zu lesen und zu verstehen. Nichts für Menschen, die noch beruflich im Alltagsstreß beschäftigt sind", und fügt erläuternd für sich hinzu "Ich arbeite zwar noch, habe viele Pläne, werde hoffentlich noch vieles fertigstellen können, aber habe auch häufig das schöne Gefühl aufkommender Langeweile. Dann ist Handke richtig".

Es sind fast zwei Stunden bei unserem Gespräch vergangen; er zeigt mir nun seine Arbeiten, die in der großen Wohnung hängen.

"Die besten Arbeiten hat vermutlich Ludwig", sagt er. "Wieviele hat er", frage ich. Er weiß es nicht, Frau Mattheuer-Neustädt schätzt die Zahl auf 12 Bilder.

Beim Rundgang durch die Wohnung treffen wir auf ein Bild, das auf dem Boden steht und gerade von der "Romantik-Ausstellung" aus dem "Haus der Kunst" in München zurückgekom­men ist. Mattheuer hat die Ausstellung nicht besucht aus Verärgerung darüber, daß man es nicht für nötig befunden hat, seine Arbeiten in Leipzig anzuschauen und die Besten auszu­suchen. Stattdessen hat man aus einer Verkaufsausstellung Arbeiten ausgesucht, alles kleine Formate und hat diese dann neben großformatige Bilder anderer Autoren gehängt. "Es ist eine gute Arbeit von mir", sagt er, "sie ist aber wegen der ungeschickten Hängung bei der Ausstellung untergegangen".

Beim Rundgang weist er bei einigen Linolschnitten darauf hin, dass zu diesem Thema auch Ölbilder von ihm gemalt wurden. Zu wichtigen Bildern habe er häufig auch Linolschnitte oder andere grafische Arbeiten angefertigt.




Der berühmte "Jahrhundertschritt", hier der handcolorierte (1/3) Linolschnitt (6/10) aus dem Jahre 1989 in unserer Sammlung. Foto ©Galerie Hotel Leipziger Hof


So auch bei diesem Linolschnitt, der eine Art Kiste darstellt, dicht gepackt mit Menschen, aus der einige wegen des Überdrucks die Wand sprengen und herausdrängen. Diese Arbeit hat er 1988 gemalt. Seine Vorstellung sei einfach gewesen, daß der Druck in der DDR immer größer geworden sei. "Stellen Sie sich vor", sagt er, "es kamen immer mehr Besucher aus Westdeutschland und es konnten immer mehr Menschen aus der DDR Besuche im Westen machen (besonders die Älteren). Dies hat zu entsprechenden Reaktionen führen müssen. Ludwig hat bei einem Besuch 1988 dieses Bild erworben. Als dann tatsächliche Situationen wie diese eintraten, wie etwa die Überfüllung der westdeutschen Botschaft in Prag, oder als die Menschen am 9. November 89 durchs Brandenburger Tor drängten, habe ihm Ludwig ge­schrieben, er (Mattheuer) habe dies in prophetischer Weise gemalt".

Eine neue Arbeit von ihm zeigt - für mich völlig anders als seine bisherigen Arbeiten - ein sehr zartes, fast romantisches Bild mit einer Straße im Dunkeln, auf der diagonal fast nur die Lichter der einzelnen Autos zu erkennen sind. Auf meine vorsichtige Frage nach einem evtl. Kauf, lehnt er nicht völlig ab, sagt aber, es müsse ja nicht heute sein. Offen erklärt er seine wirtschaftlichen Verhältnisse:



      
Sehr persönliche Glückwünsche von Wolfgang und Ursula Mattheuer zum 10-jährigen Jubiläum des Galerie Hotels Leipzger Hof im Jahre 2002 mit einer eigens für das Jubiläum angefertigten Zeichnung von Wolfgang Mattheuer. Foto ©Galerie Hotel Leipziger Hof

Wie ich sicherlich wisse, sei er reich genug und brauche nichts zu verkaufen. Er habe sich auch entschlossen, keine Immobilien zu erwerben. Er habe bisher keine, wolle auch keine haben, er wisse eh nicht, wie er ein Haus bauen lassen solle, in dem alle seine Bilder hineinpassen. Diese Wohnung sei eigentlich ideal. Er habe genug Geld und brauche nicht mehr.

Schließlich erzähle ich ihm noch, daß wir für einige Monate zahlreiche Drucke im Hotel hängen hatten, die uns Klaus Werner leihweise aus seinem Privatbesitz überlassen hatte, so auch seinen Siebdruck "Der grüne Morgen". Er habe noch einige Blätter davon und ich könne gern ein Exemplar erwerben, wenn ich möchte. In relativ kurzer Zeit findet er die Grafik. Wir suchen gemeinsam das beste Exemplar von den noch vorhandenen ca. 10 Blättern heraus.
"Wissen Sie, warum ich am liebsten über Kunsthändler verkaufe", fragt er. "Weil ich dann nicht über den Preis verhandeln muß. Ich haße das", sagt er.
"Wir müssen aber einen Preis finden", sage ich. Seine Frau schaut in alten Unterlagen der Galerie Brusberg in Berlin nach, die seinerzeit den Druck verkauft hat. Der Verkaufspreis lag bei 1.650 DM. "Sind sie mit 1.000,00 DM einverstanden", fragt Mattheuer. Ich bin.

Er verpackt das Druckblatt höchstpersönlich, schneidet zwei Kartons zurecht und verklebt das Bild säuberlich zwischen diesen beiden Pappdeckeln. Beim Zurechtschneiden lobt er das gute neue Handwerkszeug, das es jetzt gibt. "Bei dem kleinen Schneidemesser braucht man nur mit der Zange ein vorgeritztes Stück abzubrechen, um dann mit dem nächsten scharfen weiterzuschneiden.

"Es ist eine Freude, mit diesem guten Werkzeug heutzutage zu arbeiten", führt Mattheuer weiternin aus "Ich mache gerne die Rahmen für meine Bilder selbst, weil es mir einfach Spaß macht". Klaus Graf von der "Quadriga" hat mir wiederholt erzählt, wie anspruchsvoll Mattheuer mit seinen Rahmen ist. Beim heutigen Rundgang in der Wohnung hat Mattheuer mir bei zahlreichen Bildern auch Hinweis auf die Rahmen gegeben, insbesondere, warum gerade dieser Rahmen um das Bild ist. "Häufig", erklärte er, "bin ich zu Gold-lackierten Rahmen - wie bei den alten Meistern - zurückgekehrt. Weiß geht oft nicht, schwarz ist gelegentlich zu hart, daher diese goldene Farbe".

Wir vereinbaren, uns Anfang August (i.e. 1995) zum Abendessen im Hotel wiederzusehen.

Bis zu seinem überraschenden Tod am 7. April 2004, seinem 77. Geburtstag, folgten zahlreiche weitere, auch teilweise sehr kritisch geführten Gespräche zwischen Wolfgang Mattheuer, Ursula Mattheuer-Neustädt und mir.




Wolfgang Mattheuers Grab auf dem Leipziger Südfriedhof. Foto ©Galerie Hotel Leipziger Hof


Gelegentlich stehe ich an Wolfgang Mattheuers Grab auf dem Leipziger Südfriedhof und denke mit Dankbarkeit und Respekt an diesen großen streitbaren Bildermacher und Menschen, den ich so manches, auch heute noch, gerne fragen möchte.

© Klaus Eberhard, Oktober 2007

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letztes update: 15.11.2009