![]() ![]() Happy End im Geiseldrama: Pfarrer Führer dankt für Solidarität, Bennewitzer Arbeitskollegen jubeln in Leipzig Mythos Nikolaikirche Von THOMAS MAYER Leipzig. Am späten Dienstagabend erhielt Christian Führer einen Anruf von Deutschlands Außenminister Frank-Walter Steinmeier aus Chile. Da der Nikolaikirchpfarrer mit Freunden in der Alten Nikolaischule saß und er kein Handy hat ("Wirklich nicht!"), wurde er übers Polizeitelefon mit dem Politiker verbunden. "Dass ein Außenminister einen Pfarrer anruft und den Dank an die Leute da draußen ausrichtet, ist etwas ganz Besonderes. Das wäre zu Zeiten der Arbeiter- und Bauernfürsten nicht denkbar gewesen. Da riefen mich ganz andere Herren an und wollten uns einschüchtern", weiß Führer. Die gemeinten Stasileute haben längst nichts mehr zu sagen. Der Mythos Nikolaikirche aber, der auch zu ihrem Fall maßgeblich beigetragen hat, ist lebendiger denn je. Ihm wurde jetzt sogar Dank der Initiative Führers und der immer wieder zum Gedenken an die Geiseln kommenden Menschen - unter 150 waren es nie - ein neues Glanzlicht aufgesetzt. Der Pfarrer ist glücklich wie selten, weil die im Irak entführten Leipziger frei sind. Er selbst glaubte immer daran, vertraute dem Herrgott: "Wir wussten ja, das wir nicht in die Luft beten. Jesus sagt doch: ,Der Glaube versetzt Berge." Dass unsere Hoffnung bestätigt wurde, ist ein großartiges Erlebnis. Bei den Mahnwachen gab es zwei Eckdaten: Die Schweigeminuten zu Beginn und zum Schluss Psalm 126, mit dem wir schon 1988 und 1989, als unsere Leute verhaftet wurden, wunderbare Erfahrungen machten: ,Herr bringe zurück unsere Gefangenen ..."" Christian Führer will nicht nur denen danken, die in den vergangenen Wochen oft bei Wind und Wetter vor der Kirche standen, er spricht auch die Gleichgesinnten in ganz Deutschland an: "Man hatte sich mit Herz und Kopf uns angeschlossen, Cottbus, Düsseldorf, Wanne-Eickel, Bad Nauheim. Wir haben unzählige Zeugnisse der Unterstützung erhalten, Ablehnungen nur zwei, drei." Mythos Nikolaikirche? Pfarrer Führer nennt das Wunder anders: "Für mich ist diese Kirche ein Haus der Hoffnung." Dafür stehen seit Jahrzehnten Fakten: Vor zwanzig Jahren Zentrum der kirchlichen und der bald umfassenderen Friedensbewegung, nach der Wende Treff der Golfkriegsgegner, später die Friedensgebete für vom Untergang bedrohte Leipziger Betriebe, der Protest gegen den Irak-Krieg und auch die Solidarisierung mit jenen Arbeitslosen, die unter dem Begriff Hartz IV an den Rand der Gesellschaft gedrängt sind. Die Aktionen vor der Wende mit denen danach seien grundsätzlich nicht zu vergleichen, in Details aber schon. Der Pfarrer verweist auf die Wand im Kirchhof, an der es einst mit den Kerzen los ging. Die für René Bräunlich und Thomas Nitzschke stehen nur ein paar Meter entfernt. Auch dieses Gefühl zwischen Angst und Hoffnung sei doch quasi eins. Es gab auch damals Leute, die sagten: "Ihr mit euren Kerzen und Gebeten, denkt bloß nicht, dass ihr damit was erreicht." Sie seien verstummt wie die Kritiker heute. Führer weiß: "Im Grunde ist uns allen in den letzten Wochen etwas ganz Wichtiges passiert: In einer so unverschämt und so unverblümt vom Geld bestimmten Zeit, in der man denkt, christliche Werte wie Solidarität, Nächstenliebe, Mitgefühl sind verschütt gegangen, sind die nur zugedeckt. Ja, wenn es darauf ankommt, sind sie wieder da. Hier an der Nikolaikirche war kein Schnäppchen zu machen, hier gab es auch keinen Bonuspunkt, hier gab es nichts außer Menschsein." Die letzten Monate sind diesem Pfarrer sehr schwer gefallen. Jede Woche zweimal die Hoffnung lebendig erhalten, haben einen scheinbar Nimmermüden gefordert: "Je weniger man Distanz einschiebt, um so mehr nimmt einen das mit. Um so wohltuender ist nun das freudige Ereignis." Kommenden Montag findet in der Nikolaikirche 17 Uhr der Dankgottesdienst statt. Außenminister Steinmeier kann nicht kommen, wird eine Botschaft übermitteln lassen. Auch ob die befreiten Ingenieure kommen, ist ungewiss. "Das muss man einzig und allein ihnen überlassen. Vielleicht wollen sie Ruhe, vielleicht aber auch mit den Leipzigern fröhlich sein", sagt Führer. Der Zufall will es, dass die Dankandacht auf einen 8. Mai fällt. Ein besonderes Datum, auch für den Nikolaipfarrer: "Das war der so genannte Tag der Befreiung. Und ich kann mich auch noch genau an diesen Tag im Mai '85 erinnern. Es war auch ein Montag, in der Kirche fand unser Friedensgebet statt. Die Polizei sperrte erstmals die Straßen rund um St. Nikolai ab." Die besonderen Tage für den Pfarrer gehen weiter: Am Sonntag gibt es den freudigen Anlass der Konfirmation. Führer weiß, dass er mit seinem Anstacheln zum Couragezeigen die Latte hoch gelegt hat. Die Maxime, ob so etwas zu tun ist, lautet allein: "Was würde Jesus dazu sagen?" Mythos Nikolaikirche? "Es gibt keine zweite Kirche in Deutschland, in der so Vielfältiges passiert wie bei uns. Das Geheimnis lautet: Nikolaikirche - Offen für alle", ist Führer stolz. Das Motto steht seit 1985 am Eingang. Die Tore auf wie Gottes Arme. |
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