galerie.leipziger-schule und GALERIE HOTEL LEIPZIGER HOF Hier schlafen Sie mit einem Original Erinnerung an Werner Tübke zum 80. Geburtstag. Dem Freund unseres Hauses und einem der bedeutendsten und umstrittensten Künstler unserer Zeit gewidmet.
Die Stadt Leipzig ehrt Werner Tübke zum 80. Geburtstag mit einer großen Retrospektive seines umfangreichen Werkes im Museum der bildenden Künste(bis zum 13. September 2009). Wir möchten von unserer Seite hier sehr persönlich an Werner Tübke erinnern: an die zahlreichen Gespräche und Begegnungen im Leipziger Hof und bei ihm zu Hause in der Springerstraße 5 in Gohlis, wo seine Frau Brigitte Tübke-Schellenberger nach seinem Tode ein sehenswertes, kleines, intimes Tübke-Museum eingerichtet hat. Unsere Galerietätigkeit haben wir 1995 mit einer Werner Tübke Ausstellung eröffnet, s. Archiv. Inzwischen sind es 53 Ausstellungen geworden, darunter immer wieder auch Ausstellungen, in denen wir dankenswerter Weise Bilder von Werner Tübke zeigen konnten. So sind wir ihm auch über die 'galerie.leipziger-schule' eng verbunden. ![]() ![]() Wir begannen unsere Galerietätigkeit mit einer Werner Tübke Ausstellung. Zwei Fotos von der Eröffnung der Ausstellung am 7. Dezember 1995, Werner Tübke (re.) und Hausherr Klaus Eberhard. ©Fotos: Galerie Hotel Leipziger Hof (Brigitte Weibrecht) Nach der Ausstellungseröffnung habe ich zum ersten Mal die Gelegenheit zu einem längeren Gedankenaustausch mit Werner Tübke - fast drei Stunden lang. In mein Tagebuch trage ich unter dem 7. Dezember 1995 ein: " ... Nach der Ausstellungseröffnung sitzen wir an einer großen Tafel im 'Gewandhauszimmer' zur Nachfeier zusammen: Tübkes, einige Schüler von Tübke, darunter Baldwin Zettl (den Tübke, wie er mir sagt, nach wie vor für einen der besten Kupferstecher der Welt hält), einige Kollegen von der Hochschule für Grafik und Buchkunst, die Kulturredakteure des Mitteldeutschen Rundfunks, Michael Bajohr und Andreas Höll, die Kunsthistoriker Peter Guth und Günter Meißner, der übrigens als "Hausbiograph" von Tübke heute zur Eröffnung gesprochen hatte und weitere geladene Gäste. ![]() Klaus Eberhard (re.) gratuliert Werner Tübke zum 70. Geburtstag am 30.7.1999 in Tübkes Villa in der Springerstrasse 5. ©Foto: Armin Kühne Vieles war mir über Tübke vorher zugetragen worden, nun hatte ich Gelegenheit, ihn auf all diese Kolportagen anzusprechen. Seine Frau passe ziemlich auf ihn auf, war mir berichtet worden. So mußte ich schmunzeln, als unser Kellner, Herr Gall, uns zum Wildmedaillon - durchaus passend - Rotwein eingießen wollte. Frau Tübke: "Keinen Rotwein für meinen Mann, Werner Du weißt doch, daß Dir Weißwein besser bekommt, Weißwein bitte für meinen Mann". Tübke, "Na ja, ein Glas Rotwein ...". "Nein, geben Sie ihm Weißwein, bitte", bestimmt Frau Tübke endgültig. ![]() Vertauschte Rollen: Werner Tübke (mi.) gratuliert Klaus Eberhard zum 60. Geburtstag im Biergarten des Leipziger Hofs, rechts Brigitte Tübke. ©Foto: Armin Kühne Auch hatte ich immer wieder gehört, daß man nach Tübke die Uhr stellen könne, so genau hielte er seinen Tagesablauf ein. Ich bringe das Gespräch hierauf und er gibt bereitwillig Auskunft: "Ich trenne Arbeit und Verwaltung strikt, sagt er, genau um acht Uhr fange ich an zu arbeiten, bis 12 Uhr. Dann Mittagspause und ein kurzer Schlaf, genau um 14.10 Uhr arbeite ich weiter." Er berichtet dann über den weiteren Verlauf des Tages. "Dieser konkrete Zeitplan hilft mir sehr." sagt er "Es ist fast wie vorprogrammiert, um 14.10 Uhr bin ich durch die tägliche Übung genau aufs Malen eingestellt, die Ideen sind dann da. Natürlich gibt es andere, die völlig frei ohne jeden Zeitplan arbeiten. Vielleicht ist es auch eine Mentalitätssache", führt er weiter aus.
Er erzählt mir von einigen westdeutschen Prominenten, die in den letzten Jahren - auch schon vor der Wende - in seinem Atelier waren, so Richard von Weizsäcker, die Minister Norbert Blüm und Volker Rühe, und andere. "Rühe ist im Umgang genau so grob, wie er optisch schon grobkantig aussieht", erzählt mir Tübke. "Stellen Sie sich vor, er nimmt eine Graphik von mir in die Hand und drückt seine Fingerabdrücke darauf, durchaus sichtbar, weil er sie so ungeschickt anfasste. "Sie entwerten meine Arbeiten, sagte ich ihm, eigentlich müssten Sie sie nun kaufen. Rühe sah mich an, er kaufte sie." Während Norbert Blüm offensichtlich ein gern gesehener Gast bei Tübkes ist, ging ihm bei Rühe schon gegen den Strich, daß dieser bei seinem Besuch ca. 10 höhere Militärs in voller Uniform mitbrachte. "Die Militärs haben wohl meinen ungehaltenen Blick gesehen," erläutert mir Tübke, "sie haben dann alle ihre Jacken ausgezogen und in die Garderobe gehängt." Kolportiert wurde auch die Geschichte, daß Tübke einmal den Staatsratsvorsitzenden Honecker brüskiert habe: Bei der Verleihung eines Kunstpreises an Tübke habe Honecker ihn gebeten - beide saßen offenbar weit voneinander entfernt an den entgegengesetzten Enden eines langen Tisches -, zu ihm zu kommen, um ihm den Preis zu verleihen. Tübke habe gesagt, wissen Sie, Herr Staatsratsvorsitzender, der Weg von Ihnen zu mir ist genau so weit wie von mir zu Ihnen, treffen wir uns doch in der Mitte. Ich frage Tübke, ob diese Geschichte wirklich wahr ist. "Nein," sagt Tübke, "nur teilweise. Es war übrigens nicht Honecker, es war sogar Ulbricht. Es war in Dresden während einer Ausstellungseröffnung. Ulbricht saß sehr weit von mir weg und äußerte den Wunsch, dem berühmten Künstler Tübke zutrinken zu dürfen. Er forderte mich auf, zu ihm zu kommen. Ich sagte lediglich, man könne sich auch ganz gut auf diese Entfernung zuprosten und blieb auf meinem Platz."
Dann erzählt er mir von seinem Aufenthalt in der UdSSR: In den 80iger Jahren hatte man von Seiten der DDR geplant, ein sehr großzügiges Kunst-Stipendium für einen Aufenthalt in der UdSSR zu vergeben. "Ich sollte als Testperson dienen," sagt Tübke, "ich konnte ein Jahr lang frei in der UdSSR herumreisen, wo ich wollte und die gesamte Planung war 'ad libidum'. Es war großartig. Ich habe dieses Jahr in der Sowjetunion sehr genossen. Es sind noch sehr viele Eindrücke bei mir im Kopf," sinniert er, "Eindrücke aus Moskau, aus den großen Städten, aber sehr viele auch von den sehr, sehr einfachen Verhältnissen auf dem Lande." Tübke raucht ununterbrochen Pfeife; Frau Tübke-Schellenberger fast ununterbrochen Zigaretten. So kommen wir auch aufs Rauchen zu sprechen: "Einmal mußte ich bei minus 28 Grad in Moskau auf den Balkon gehen, um zu rauchen. Ich war privat eingeladen und die Gastgeber waren aggressive Nichtraucher." Tübke spielt noch ein wenig mit dem Ausdruck aggressive Nichtraucher, und zieht natürlich über sie her. Um mir sein Wohlwollen nicht zu verscherzen, bemerke ich, daß ich auch nichts von missionarischem Eifer gegen das Rauchen halte, jedoch selber seit langer Zeit nicht mehr rauche. ![]() So sah man Brigitte und Werner Tübke häufig - mit Zigarette und Pfeife. Ganz außergewöhnlich an dem Foto: Werner Tübke lächelt. Fotograf Armin Kühne war überglücklich. Es sei das einzige Foto eines lächelnden Tübke, das er in rund 30 Jahren aufgenommen habe, erzählt er mir. ©Foto: Armin Kühne Unsere Gespräche sind nun vertrauter geworden, auch haben wir im Laufe der letzten zwei Stunden einiges getrunken. Ich hatte ihn etwas zu seinem Lebenslauf gefragt, weiß aber nicht mehr genau, was. Dies brachte ihn jedoch dazu, mir die folgende erstaunliche Geschichte zu erzählen: "Vielleicht ist ihnen aufgefallen," beginnt er, "daß aus meinem Lebenslauf ersichtlich ist, daß ich ein Jahr zu spät Abitur gemacht habe." (Mir war es nicht aufgefallen, da in der DDR ohnehin ein Jahr weniger bis zum Abitur benötigt wurde als an westdeutschen Gymnasien). "Ich habe immer erzählt, ich sei einmal auf dem Gymnasium sitzen geblieben, um dieses fehlende Jahr zu erklären. Glauben Sie denn, daß ich sitzengeblieben bin, glauben Sie, dass ich dumm bin?" fragt er mich. "Nein," sage ich, "das glaube ich nicht." ![]() Die Pfeife durfte nie fehlen, hier mit dem Direktor des Stadtgeschichtlichen Museums, Volker Rodekamp im Restaurant des Leipziger Hofs. ©Galerie Hotel Leipzigier Hof "Als ich 16 Jahre alt war, wurde ich eines Tages von russischen Offizieren auf dem Heimweg von der Schule nach Hause gebeten, mit ihnen mit zu kommen. Ich wußte natürlich, wo die Polizei in meinem Heimatort Schönebeck war. Zu meinem Schrecken gingen wir dort vorbei in Richtung des Gebäudes, in welchem die Russen ihre Kommandantur hatten. Wir kamen immer näher und ich wurde schließlich dort hineingeführt." "Man warf mir vor, einen sowjetischen Offizier umgebracht zu haben. Drei Tage behielt man mich dort in der Kommandantur. Meinen Eltern wurde nichts gesagt. Sie wußten nicht, wo ich war. Natürlich hatte ich nicht im entferntesten irgend etwas mit irgend einem russischen Offizier zu tun gehabt. Es war reine Willkür. Völlig unbegründet." "Nach den drei Tagen brachte man mich in ein Gefängnis mit Einzelhaft. Es war eine sogenannte Stehzelle. Sie war so klein, daß man sich nicht legen konnte. Über längere Zeiträume wurde diese Zelle mit Wasser gefüllt, sodaß ich bis zur Brust im Wasser stand. Ich kam in verschiedene Gefängnisse, immer mit den gleichen Strapazen. Meine Eltern erfuhren während der gesamten Zeit nicht, wo ich war. Erst nach fast einem Jahr, genau nach 10 Monaten, wurde ich genau so willkürlich entlassen, wie ich verhaftet worden war." "An dem Tag der Entlassung wurde ich zusammen mit einer Reihe von anderen Inhaftierten herausgeführt. Ich glaube heute noch, es war reine Willkür, wer von den Inhaftierten damals 50 Pfennig bekam, um mit der Straßenbahn zu seinen Eltern zu fahren und wer weitergeführt wurde zum Bahnhof, um nach Sibirien abtransportiert zu werden. Von den Inhaftierten, die nach Sibirien kamen, und die ich im Gefängnis kennengelernt hatte, habe ich nie einen einzigen wiedergesehen, bis heute nicht." "Am brutalsten waren die älteren Wärter im Gefängnis, die Deutschen. Von den jungen russischen Offizieren hat mir manchmal einer etwas zugeschoben, etwa ein wenig Brot." ![]() Ein historisches Foto: Werner Tübke (li.) und der Kabarettist und Schriftsteller Hansgeorg Stengel im Restaurant des Leipziger Hofs. Hansgeorg Stengel wurde wie Tübke am 30. Juli geboren und verstarb genau an seinem 80. Geburtstag im Jahre 2003 in Berlin. ©Galerie Hotel Leipzigier Hof Ich frage ihn: "Als sie später berühmt waren, und direkten Zugang hatten zu den führenden Staatsmännern der DDR, haben Sie nie versucht, die Sache aufzuklären?" "Nie ein Wort," antwortet Tübke. "Bei meiner Entlassung wurde mir eindringlich klar gemacht, wenn auch nur ein einziges Wort hierüber verlauten sollte, würde ich sofort wieder verhaftet. Ich hatte eine solche Angst, daß ich zu niemandem, wirklich niemandem, auch nicht zu meiner Frau, ein Wort darüber gesagt habe." Seine jetzige Frau Brigitte sei ja seine dritte Frau, ergänzt er fast rührend, aber auch den beiden anderen hätte er nie davon erzählt. "Ich habe es vor einiger Zeit Dr. Meißner, der mich ja sehr gut kennt, erzählt," berichtet er weiter. "Einige wissen es heute." (Später schaue ich im neuen Buch von Günter Meißner über Tübkes Bauernkriegspanorama nach, das mir Tübke heute geschenkt hatte. bei der VITA von Tübke heißt es lediglich: 1945/1946 unschuldig 10 Monate inhaftiert.) "Die damaligen Strapazen hätte ich zu keinem anderen Zeitpunkt meines Lebens überstanden", meint Tübke. "Ich glaube, nur als junger Mensch, damals war ich 16 und sehr sportlich - Feldhandball, viel anstrengender als Fußball -, war der Körper so widerstandsfähig, daß er dieses überleben konnte." Gegen 23.30 Uhr verabschieden sich Tübkes und laden mich zum Besuch in die Springerstraße 5 ein. Bis zu seinem Tode am 27. Mai 2004 folgten zahlreiche weitere Gespräche von mir mit Werner Tübke und mit seiner Frau. ![]() Werner Tübkes Grab auf dem Leipziger Südfriedhof, hier mit Besucher Klaus Eberhard, der eine Rose zur Erinnerung gebracht hat. Foto: ©Galerie Hotel Leipziger Hof Gelegentlich stehe ich an Werner Tübkes Grab auf dem Leipziger Südfriedhof und denke mit Dankbarkeit an unsere Begegnungen und mit Respekt an diesen großen Maler und Zeichner. Seine Arbeiten in der Kunstsammlung unseres Hauses sind eine bleibende Erinnerung an Werner Tübke - für uns und unsere Gäste aus der ganzen Welt. © Klaus Eberhard, Juli 2009 Hotelhauptseite Kunstsammlung Galerie Veranstaltungen letztes update: 15.7.2009 |